„In die falsche Richtung“

Veröffentlicht am 07.11.2012 in Bundespolitik

Die Wirtschaftsweisen stehen für klare Ansagen und halten auch am Mittwoch nicht hinter den Berg. In ihrem Jahresgutachten lassen die Experten an der schwarz-gelben Wirtschaftspolitik kaum ein gutes Haar.

Am Ende wird es Angela Merkel doch zu bunt. Soeben hat sie im Kanzleramt das neue Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen entgegengenommen. Dass da nur wenig Schmeichelhaftes drinsteht, weiß die Kanzlerin längst. Anmerken lässt sie sich trotzdem nichts - bis ein Journalist den Chef der „Weisen“ nach seinem Urteil zu den jüngsten Koalitionsbeschlüssen fragt. „Ich beantworte Ihre Frage gerne“, sagt Wolfgang Franz. „Das machen Sie lieber nachher“, grätscht Merkel freundlich, aber bestimmt dazwischen.

Weise: Regierung wirtschaftspolitisch auf Holzweg

Kein Wunder: In seinem jüngsten Gutachten bescheinigt der Sachverständigenrat der Regierung, mit ihrem wirtschaftspolitischen Kurs und vor allem den als Befreiungsschlag gedachten Entscheidungen von Schwarz-Gelb ziemlich auf dem Holzweg zu sein. Die Voraussetzungen für den Abbau der Schuldenberge waren aus Sicht der Experten selten so gut wie heute. Doch die Regierung, so die Botschaft, verspielt die Chance, weil sie nicht wirklich spart.

Die zentralen Sätze finden sich gleich am Anfang des 450-Seiten-Wälzers: „Da Bund und Länder nicht dauerhaft auf Sonderfaktoren und eine günstige konjunkturelle Entwicklungen bauen können und zudem demografisch bedingte Mehrausgaben auf den öffentlichen Gesamthaushalt zukommen, ist deutlich mehr Ehrgeiz bei der Konsolidierung notwendig“, heißt es da. „In die falsche Richtung gehen strukturelle Mehrausgaben, wie etwa das Betreuungsgeld, die Zuschussrente oder die Abschaffung der Praxisgebühr.“

Nun gelten die fünf Top-Ökonomen seit jeher als Freunde einer klaren Ansage. Vergangenes Jahr zum Beispiel verlangten sie einen Altschuldentilgungsfonds für europäische Krisenstaaten - wohlwissend, dass Merkel eine solche Gemeinschaftshaftung strikt ablehnt. Die Experten beharren trotzdem darauf. Im Mai warf der Sachverständige Peter Bofinger der Regierung vor, mit ihrer Strategie in der Eurokrise „völligen Schiffbruch“ erlitten zu haben. Der Ruf nach Reformen, die Kritik am Status quo gehört quasi zum Standardprogramm.

Bitteres Urteil für Koalition

Für die Koalition ist das Urteil trotzdem bitter. Der Optimismus, den Union und FDP nach ihrem Koalitionsgipfel verbreiteten, hat sich längst wieder verflüchtigt. Die FDP legt die Rentenbeschlüsse ganz anders aus als die CDU-Arbeitsministerin, das Betreuungsgeld bleibt auch in der Koalition umstritten. Die FDP-Politikerin Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, hat schon angekündigt, dass sie am Freitag im Bundestag dagegen stimmen wird. Was das für ihr Regierungsamt bedeutet ist offen.

Als größten Erfolg hat Schwarz-Gelb die Festlegung gewertet, schon 2013 die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen und 2014 einen zumindest strukturell ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Der lässt aber weiter neue Schulden zu. Vor den Augen der Weisen findet auch dieses Ziel nur wenig Gnade. Nach ihrer Rechnung wird es 2012 einen Überschuss im Gesamthaushalt geben, die staatlichen Einnahmen wachsen, die Zinslast ist stark gesunken. Zugleich sind aber die staatlichen Konsumausgaben sprunghaft gestiegen.

Weise kritisieren Koalitionsbeschlüsse

Daraus müssen aus Sicht der Experten endlich Konsequenzen gezogen werden. Sie fordern, auf Leistungen wie Betreuungsgeld und eine - wie auch immer geartete - Zuschussrente zu verzichten, Steuerprivilegien wie den Milliardenbonus für Hotels oder die Absetzbarkeit häuslicher Dienstleistungen abzuschaffen und bei den Konsumausgaben zu sparen. Dazu zählen sie auch Einsparungen bei den Personalkosten im öffentlichen Dienst.

Kein Wunder, dass solche Botschaften wenig Begeisterung auslösen, vor allem vor einem Wahljahr. Das haben die Wirtschaftsweisen offenbar auch ganz hautnah zu spüren bekommen. Sie hatten dem Haushaltsausschuss des Bundestages nach Angaben der Opposition angeboten, ihr Gutachten noch am Mittwoch zu erläutern. Die Koalition habe dies aber ganz ans Ende der Tagesordnung verschoben, so die SPD. Mit dem Ergebnis, dass der Punkt schließlich ganz weggefallen sei.